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Königliche Republik
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Königliche Republik

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About this ebook

Neapel 1647: Die ehrgeizige Patriziertochter Mirella Scandore ist mit einem Neffen des spanischen Vizekönigs verlobt, als sich das Volk von Neapel gegen dessen Herrschaft erhebt. Neapel erwählt den Herzog von Lothringen, Henri de Guise, zu seinem neuen Dogen. Mirella lernt seinen aufrichtigen Einsatz für ihre Stadt zu schätzen und verliebt sich in einen seiner Offiziere, Alexandre de Montmorency.
Mirellas Bruder Dario dagegen glaubt die Familie durch die anarchischen Verhältnisse während des Aufstands in Gefahr. Nach einem Brandanschlag auf das Tuchlager der Familie schließt er sich einer Verschwörung gegen die junge Republik an. Als er verraten wird und ihm die Hinrichtung droht, deckt Mirella ihn schweren Herzens mit einem Meineid. Doch dann plant er ein Attentat auf den Dogen, bei dem unweigerlich auch Alexandre getötet würde ...

Historischer Roman. 400 Seiten

*** jugendfrei ***

Leserstimmen:
"Mit ihrem umwerfenden historischen Faktenwissen strickt die Autorin einen packenden Roman, der den Leser quasi sofort in seinen Bann schlägt und nicht mehr auslässt." -
"So muss ein Roman geschrieben sein. Fesselnd, mit einem Hauch Romantik, der nicht zuviel verspricht." -
"... vom Umfang wie vom Inhalt her ist es ein großes Werk, das vor einem hierzulande weitgehend vernachlässigten historischen Hintergrund eine konfliktträchtige, spannende und perfekt in die Zeit eingewobene Handlung bietet." -
„Schön ist, dass die Autorin die handelnden Personen so lebensnah konzipiert hat, dass man als Leser eine Art Beziehung zu ihnen aufbauen kann. Man fiebert, lacht und weint mit ihnen, liebt die einen, hasst die anderen und möchte dem einen oder anderen manchmal laut "Aufpassen!" zurufen. “ -
„In Mirella erleben wir ein Mädchen, das in verhältnismäßig kurzer Zeit zu einer jungen Frau heranwächst, die sich ihrer Verantwortung für ihre Familie und ihre Stadt bewusst wird. Annemarie Nikolaus hat diese Figur so lebendig und liebenswert gezeichnet, dass man Mirellas Schicksal von Anfang bis zum Schluss mit zunehmender Spannung verfolgt.“ -
"Je weiter man liest, desto weniger ist man in der Lage, den Roman aus der Hand zu legen. Beständig steigt der Druck auf Mirella, die erstaunlichen Mut beweist. Man fühlt und leidet mit ihr bis ans dramatische Ende."-

LanguageDeutsch
Release dateMar 5, 2012
ISBN9781465925930
Königliche Republik
Author

Annemarie Nikolaus

German free-lance journalist and author.Gebürtige Hessin, hat zwanzig Jahre in Norditalien gelebt. Seit 2010 wohnt sie mit ihrer Tochter in Frankreich.Sie schreibt Fiction und Non-Fiction, in der Regel in deutscher Sprache. Mittlerweile sind einige ihrer Werke in mehrere Sprachen übersetzt worden.Bleiben Sie auf dem Laufenden mit dem Newsletter: http://eepurl.com/TWEoTSie hat Psychologie, Publizistik, Politik und Geschichte studiert und war u.a. als Psychotherapeutin, Politikberaterin, Journalistin, Lektorin und Übersetzerin tätig.Ende 2000 hat sie mit dem literarischen Schreiben begonnen. Seit der Veröffentlichung der ersten Kurzgeschichten schreibt sie Romane, mit besonderer Vorliebe Fantasy und historische Romane. .

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    Königliche Republik - Annemarie Nikolaus

    Donnerstag, 18. Juli 1647

    „Man hätte den Fischer liegen lassen sollen, wo der Pöbel ihn verscharrt hat." Der Sekretär des spanischen Vizekönigs zog die Mundwinkel verächtlich nach unten. Er warf einen letzten Blick auf den Trauerzug, der den Platz vor dem Schloss überquerte. Ein Dutzend Männer mit phrygischen Mützen führten die düstere Menge an, als wollten sie alle daran erinnern, dass Masaniello einer der ihren gewesen war. Die Rufe der Menschen auf dem Largo di Palazzo kamen nur gedämpft an – aber immer noch deutlich genug: „Viva il Re di Spagna; mora il malgoverno."

    „So lange sie ihrem König treu sind, mögen sie schreien." Rodrigo de Arcos steckte unbeeindruckt die Feder ins Tintenfass zurück und streute Sand über das Dokument, das er gerade unterzeichnet hatte.

    Der Sekretär zog die schweren Vorhänge zu und hüllte den Raum in Dämmerlicht. Eine Öllampe ließ Herzog de Arcos, Vizekönig Seiner Katholischen Majestät in Neapel, das nötige Licht zum Schreiben. Sein Besucher dagegen, der Erzbischof von Neapel, wurde zu einem Schemen im Hintergrund des Arbeitszimmers.

    „Ich teile Eure Meinung nicht, Don Rodrigo. Ascanio Filomarino erhob sich und ließ den Rosenkranz in den Falten seines Kardinalsrocks verschwinden. „Mit Masaniello hat die Revolte zwar ihren Anführer verloren, aber nicht ihren Kopf.

    „Dafür tragt Ihr die Verantwortung, Monsignore. Filomarino hatte die Rolle des Mittlers zwischen den Aufständischen und dem Vizekönig inne gehabt; nun konnte de Arcos ihm das Ergebnis vorwerfen. „Der Trauerzug hat ihnen die Gelegenheit gegeben, sich zusammenzurotten.

    „Ihr habt auf die Privilegien geschworen, die der Rat Euch vorgelegt hat." Filomarino trat an die Fensterfront und zog einen der Vorhänge wieder auf. Halb Neapel hatte sich dort draußen in Reue über die Ermordung seines Generalleutnants versammelt. Wer auch immer jetzt das Kommando übernahm, er würde keinen Frieden bringen. „Aber nun, da Ihr die Gabella auf das Obst doch wieder erhebt, fühlt sich das Volk betrogen."

    „Wir werden damit fertig werden. Sobald Seine Majestät Entsatz schickt. Bis dahin ... De Arcos zuckte die Achseln. „Der König hat mir einen Auftrag gegeben und ich werde ihn ausführen!

    „Macht Kompromisse, Don Rodrigo! Gebt den Menschen das Gefühl, dass Ihr ihre Nöte versteht."

    „Lassen wir die Gäste nicht länger warten."

    Der Sekretär holte ein in Seide geschlagenes Päckchen aus einer Schublade des Bücherschranks, bevor er den beiden Männern die Tür öffnete und ihnen dann folgte. Entlang des lichterfüllten Korridors, der zum Thronsaal führte, hielten an jeder Tür zwei Alabarderos des Tercio de Nápoles Wache. Die Soldaten zogen ihre federgeschmückten Hüte und salutierten; aber der Vizekönig winkte ab.

    Wegen der sommerlichen Hitze standen die Fenster in der Galerie offen und wieder klangen die Stimmen der Neapolitaner zu ihnen. Einer der Alabarderos öffnete die Saaltür; Musik übertönte nun den Gesang des Trauerzugs und war gewiss auch auf der Straße zu hören.

    „Macht die Fenster zu!"

    Der Soldat gehorchte, aber schon blieben die ersten unter den erleuchteten Fenstern stehen und blickten hoch. Männer reckten die Fäuste; die Frauen stemmten ihre geballten Hände in die Hüften. „Es lebe der König von Spanien; Tod der Missregierung!"

    Mit verkniffener Miene sah Filomarino hinunter auf den Largo. „Ihr habt von Entsatz gesprochen."

    „Allein mit den Soldaten der Garnison können wir den Aufruhr nicht beenden."

    „Ihr hattet ihn schon beendet, Don Rodrigo! Das Volk war der Exzesse überdrüssig geworden."

    Der Hofmeister neben der Saaltür klopfte zwei Mal mit seinem Zeremonienstab; die Musik setzte aus. „Seine Exzellenz Rodrigo Ponce de Léon y Álvarez de Toledo, Herzog de Arcos, Markgraf de Zahara, Graf de Casares, Herr de Marchena, Vizegraf de Bailén und Herr de Villagarcia, Vizekönig Seiner Katholischen Majestät König Philipp IV. von Spanien. Er schnappte nach Luft. „Monsignore Ascanio Filomarino Della Torre, Erzbischof von Neapel.

    Der Vizekönig schritt das Spalier seiner Gäste ab und grüßte manche mit einem flüchtigen Nicken, andere mit ein paar Worten. Niemand aus dem Patriziat der Stadt Neapel hatte es gewagt, diesem Ball fernzubleiben. Aus der Provinz hatten sich sogar mehrere Barone eingefunden.

    Vor einem jungen Mädchen in fliederfarbenem Seidenkleid blieb de Arcos stehen. „Ihr werdet mit jedem Tag bezaubernder, Signorina. Er nickte den beiden Männern zu, die hinter ihr standen. „Ich freue mich, dass Ihr meiner Einladung gefolgt seid, Signor Scandore.

    „Es ist uns eine Ehre", antwortete der Ältere.

    „Ihr werdet bald zu uns gehören. De Arcos wandte sich wieder dem jungen Mädchen zu. „Mein Neffe hat Euch etwas schicken lassen.

    Sein Sekretär, der ihm mit einigen Schritten Abstand gefolgt war, überreichte Mirella Scandore das Päckchen.

    Feine Röte stahl sich auf ihre Wangen. „Ich bin ... Er ist so großzügig."

    De Arcos wedelte ungeduldig mit der Hand. „Ach was; nur keine falsche Bescheidenheit. Das passt nicht zu Euch."

    Sie errötete noch mehr.

    „Ihr habt Euch doch etwas dabei gedacht, als Ihr Euch von Felipe den Hof machen ließt."

    Aus nächster Nähe kam unterdrücktes Kichern; eine dunkelhaarige Frau hielt sich schnell ihren Fächer vors Gesicht.

    Mirella krampfte die Finger um das Päckchen und reckte das Kinn, während der Vizekönig weiterging.

    „Was denkt er sich eigentlich?", zischte der junge Mann hinter ihr.

    Enzo Scandore legte ihm die Hand auf den Arm. „Nimm dich zusammen, Dario. Er neigte sein Gesicht zu ihm. „Wir brauchen ihn noch.

    So leise er auch gesprochen hatte, Mirella hatte es doch gehört. Sie drehte sich um. „Nicht mehr lange. Wenn ich erst die Herzogin de Toledo d’Altamira y Léon bin ..."

    Darios Gesicht verfinsterte sich noch mehr. „Den erstbesten Pfau musstest du dir aussuchen."

    „Er ist fast so reizend wie du. Mit einem koketten Augenaufschlag hängte Mirella sich an seinen Arm. „Tanz mit mir. Du bist der einzige junge Mann, mit dem ich mich noch amüsieren kann, ohne Anstoß zu erregen.

    „Siehst du; schon sitzt du im goldenen Käfig." Aber er geleitete sie doch in den Ballsaal, nachdem das Orchester sein Spiel wieder aufgenommen hatte.

    Nach zwei artigen Schreittänzen winkte Maestro Giovanni Trabaci die Flöten und das Tambour zu sich. Das Orchester begann eine Tammuriata zu spielen.

    Mirella warf sich Dario mit einer übermütigen Drehung in die Arme: Das war ihr Tanz. Nach kaum einer Minute wichen die anderen Paare eines nach dem anderen an den Rand des Ballsaals zurück. Dario ließ Mirella los und überließ ihr alleine die Tanzfläche. Sie reckte den Kopf noch höher, raffte ihre Röcke bis über die Knöchel und gab dem Kapellmeister einen Wink. Maestro Trabaci nickte mit einem breiten Grinsen und ließ ein wenig schneller spielen.

    Die ersten Locken rutschten aus Mirellas kunstvoll hochgesteckter Frisur auf ihre Schultern und eine silberne Haarnadel fiel leise klirrend auf den Marmorboden.

    Dann war der Tanz zu Ende. Mirella lachte vergnügt und drehte sich noch einmal. Ihre Wangen hatten sich erhitzt, aber ihr Atem ging gleichmäßig wie zuvor.

    Der Vizekönig kam auf sie zu. „Signorina, Ihr werdet am Hof Seiner Katholischen Majestät eine neue Mode einführen, wenn der König Euch tanzen sieht."

    Mirella lachte. „Das wäre mir bedeutend lieber denn als Hexe verbrannt zu werden. Sie strich ihre Locken zurück. „Oder gedenkt man endlich, das Autodafé abzuschaffen?

    „Ich fürchte, in diesen unruhigen Zeiten ist es notwendiger denn je." Er reichte ihr seinen Arm, um sie von der Tanzfläche zu geleiten. Auf seinen Wink spielte das Orchester weiter.

    „Bedeutet das, Ihr wollt die Inquisition nach Neapel zurückholen? Mirella schluckte. „Das Volk ist schon jetzt geschlagen genug.

    „So steht Ihr auf der Seite der Aufrührer?"

    „Exzellenz!, hauchte sie. Das hätte sie wohl nicht sagen dürfen. „Ich bin eine treue Untertanin der Krone.

    „Das solltet Ihr auch sein. Ihr setztet sonst Eure Verlobung aufs Spiel."

    Mit dem Thema sah Mirella sich wieder in sicheren Gewässern. „Die Liebe zu Eurem Neffen geht mir über alles."

    Da zwinkerte de Arcos. „Tatsächlich?"

    Mirella fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. „Eure Exzellenz zweifeln an meiner Aufrichtigkeit?" Sie lächelte kokett, um ihre Worte notfalls als Scherz erscheinen zu lassen.

    „An deiner Aufrichtigkeit nicht, mein Kind. An deiner Erfahrung." Er verabschiedete sich mit einem Kopfnicken.

    Mirella griff sich mit beiden Händen in die Haare, um sie wieder zu bändigen. „Was bildet der sich ein? Unausstehlich arrogant war dieser Mensch. „Erfahrung!

    „Warum schimpfst du so, Schwesterchen? Dario stand in ihrem Rücken und lehnte seine Stirn auf ihre Schulter. „Hat er dich geärgert?

    „Ja. Am liebsten hätte sie ihrem Zorn freien Lauf gelassen und mit dem Fuß aufgestampft; schon zuckten ihre Muskeln. „Er scheint zu glauben ... Er zweifelt an meiner Erfahrung.

    Dario lachte unfroh. „Wenn du sie hättest, wärest du untragbar als Braut eines spanischen Granden."

    Sie nahm seine Hand. „Lassen wir uns etwas zu trinken geben."

    Als sie an einem der Fenster vorbeigingen, blickte Mirella hinaus. In der beginnenden Dämmerung leuchteten die ersten Fackeln in der Gasse, die zur Basilica del Carmine führte. „Er sprach vom Aufruhr. Und von der Inquisition."

    „Die Inquisition brauchen wir nicht zu fürchten. Die hält uns der Erzbischof vom Hals."

    Sie starrte noch immer hinunter auf den Largo. „Wenn ich mir vorstelle ..."

    „In Neapel wird kein Scheiterhaufen mehr brennen. Darin ist Filomarino sich mit dem Heiligen Stuhl einig, glaub mir. Er wandte sich ab und sah sich suchend um. „Wir erschlagen unsere Feinde.

    „Wir haben doch gar keine."

    „Doch. Dario deutete nach draußen. „Der Pöbel kennt kein Gesetz. Und in einem rechtlosen Zustand verlieren wir alle. Er griff nach ihrer Hand und zog sie weiter zum nächsten Saal.

    Auf langen Tischen war das Büfett aufgebaut – Pasteten und Geflügel vor allem und üppige Mengen an spanischem Zuckergebäck; dazu spanischer Süßwein, der in Mode gekommene prickelnde Blanquette de Limoux und der rote Anglianico aus der Basilikata, den der Vizekönig zu seinem Hauswein erkoren hatte.

    „Aber das stimmt doch gar nicht. Sie wollen bloß weniger Steuern zahlen und die alten Privilegien zurück."

    „Und das Gemetzel der letzten Tage? Glaub mir, es ist noch nicht zu Ende. Dario wies zurück zum Thron des Vizekönigs am Ende des anderen Saals. „Hast du sie nicht gehört während des Trauerzugs? Ich fürchte, Don Rodrigo hat einen großen Fehler gemacht.

    Er ließ sich von einem der Lakaien ein Glas Blanquette reichen. Als auch Mirella ihre Hand ausstreckte, hielt er sie fest. „Alkohol ist nichts für kleine Mädchen."

    „Ich bin bald verheiratet."

    „Aber noch nicht einmal fünfzehn."

    Sie blitzte ihn an und hob die Brust zu einer zornigen Entgegnung.

    Dario lachte amüsiert. „Geb Er der künftigen Herzogin de Toledo d’Altamira y Léon auch ein halbes Glas davon."

    Der Lakai beeilte sich einzuschenken und Mirella prostete Dario mit einer beschwingten Drehung zu. „Übers Jahr trinke ich so viel ich will."

    „Das möge Felipe verhüten. Du bist schon jetzt außer Rand und Band."

    Mirella trank in zwei Schlucken aus und gab das Glas zurück. „Lass uns tanzen. Wenn du recht haben solltest, mag dies der letzte Ball für lange Zeit ..."

    „Eigentlich ..."

    „Nun komm! Mit Stefania kannst du noch oft genug tanzen."

    Seufzend folgte er ihr, aber dann wurde er von einem älteren Mann angehalten, dessen taubenblaue Jacke sich zum Platzen über seinem Bauch spannte. „Scandore, kann ich mit Ihm reden?"

    Dario blickte zwischen Mirella und ihm hin und her. „Besser nicht jetzt."

    Der Mann musterte Mirella mit zusammengekniffenen Augen. „Ich verstehe." Mit einer Kopfbewegung, die ein Gruß genauso gut wie ein Wink für Dario sein konnte, ging er weiter.

    „Der ist nicht von hier. Wer war das?"

    „Einer von Vaters Kunden, wer sonst?"

    Mirella drehte sich um und betrachtete ihn ungeniert genauer. „Er hat viel Geld."

    Dario zuckte die Achseln. „Er liebt es, mit dem Familienschmuck zu protzen."

    „Dann sind die zehn Ringe an seinen Fingern vermutlich alle, die er besitzt." Sie kicherte.

    „Du bist jetzt schon betrunken."

    Statt wieder mit ihr zu tanzen, wie sie erwartet hatte, brachte er sie zu Enzo zurück. „Ich habe jemanden getroffen ..."

    Mirella zog einen Flunsch. „Dies ist ein Fest, kein Kontor."

    „Ich habe ihr erlaubt, einen Schluck zu trinken. Er hielt den Kopf schräg. „Es tut mir leid, Vater.

    Enzo klopfte ihm auf die Schulter. „Du kannst sie nicht ewig von allem fern halten."

    „Ich bin auch nicht ewig die kleine Schwester."

    Grinsend zog Dario sie an einer ihrer losen Strähnen. „Was denn? Die große?"

    Alle drei lachten.

    „Hättest du denn gerne eine große Schwester?"

    Dario schüttelte den Kopf. „Mirella ist schon richtig, so wie sie ist." Zielstrebig ging er davon; er wusste offensichtlich, wo der Taubenblaue ihn erwartete.

    „Geh tanzen, mein Kind. Wer weiß, wann du wieder Gelegenheit dazu hast."

    Die Unkerei der beiden begann ihr die Festlaune zu verderben; Mirella zog die Nase kraus. „Jetzt redet Er schon genauso. Aufruhr ... Gemetzel ... Inquisition ..."

    „Wer redet von der Inquisition?" Enzo klang alarmiert.

    „Niemand. Sie wedelte nervös mit ihrem Fächer. Tatsächlich war sie es gewesen, die davon angefangen hatte. „Jedenfalls nicht in Neapel.

    Enzo sah ihr prüfend ins Gesicht. „Hast du das auch richtig verstanden?"

    „Dario sagt, der Erzbischof wird es nicht zulassen."

    „Wir gehen unruhigen Zeiten entgegen. Wer weiß, wie lange er sich durchsetzen kann."

    „Aber der Papst ..."

    „... stellt sich vielleicht auf die Seite Frankreichs, da er Mazarin in seinem Streit unterlegen ist."

    „Was haben die Gabelle mit Frankreich zu schaffen?"

    „Viel, mein Kind."

    Sie sah ihn groß an; meinte er den Krieg in Flandern? „Aber wir gehören doch zu Spanien."

    „Das war nicht immer so."

    Mirella lauschte einen Moment nach draußen; aber auf dem Largo war es still geworden. Die Menschen waren in der Kirche – oder nach Hause gegangen. „Niemand stellt es in Frage."

    „Bis jetzt. – Nicht in der Öffentlichkeit."

    „Dario sagt, Don Rodrigo habe einen Fehler gemacht. Meint Er, wenn er sich stur stellt ...?"

    Enzo tätschelte ihren Arm. „Geh dich amüsieren; das sind keine Themen für ein junges Mädchen."

    Sie starrte ihm hinterher, als auch er den Thronsaal verließ. Immer ließ er sie stehen, wenn sie versuchte, etwas zu begreifen.

    Ihr Blick traf den eines jungen Patriziers; Bewunderung lag in seinen Augen. Aber als sie ihm zulächelte, wandte er sich schnell ab. Wohl auch einer von denen, die seit ihrer Verlobung nicht mehr wagten, mit ihr zu tanzen. Doch den jungen spanischen Adligen galt sie immer noch als Bürgerliche. Nur die Alten, die wollten sich mit ihr schmücken – und traten ihr dabei ständig auf die Füße.

    Missmutig ließ sie sich in einen Sessel fallen; sie hatte es satt, nirgendwo dazuzugehören.

    Aus der Ferne kam ein Knall – fast klang es wie eine Arkebuse. Mirella wandte den Kopf. Dann folgte ein anderer. Dies war eindeutig ein Schuss. Dario hatte wohl recht; die Revolte ging weiter. Neugierig stand sie auf und spähte aus dem Fenster.

    Der Largo lag verlassen im Dunkeln. Aber über Santa Lucia war es heller geworden; ein Feuer begann dort, sein Licht zu verbreiten. Rasch wurde es größer.

    „Es brennt!" Mirellas Stimme hatte einen hysterischen Klang; unangemessen – es war doch weit weg. Aber ihr schauderte.

    „Was ist los?" Stefania d’Oliveto, ihre adlige Freundin aus der Klosterschule, stand plötzlich hinter ihr.

    Mirella deutete nach draußen. „Man hat schon wieder ein Feuer gelegt." Sie drehte sich um.

    „Was für eine Dummheit. Sie schaden doch sich selbst. Stefania legte ihren Arm um Mirellas Taille. „Warum geben die Menschen keinen Frieden?

    „Sie sind arm und unwissend."

    „Unwissend – das gilt leider auch für den Vizekönig. Er hat nichts begriffen von Neapel in diesen eineinhalb Jahren. Cabrera wusste schon, warum er sich ablösen ließ."

    „Denkst du auch, dass der Aufstand noch nicht zu Ende ist?"

    „Du siehst es doch selbst. Stefania deutete zum Fenster zurück. „Sie hatten genug von dem verrückten Fischer; aber noch mehr haben sie genug davon, ausgepresst zu werden.

    Mirella sah sie bewundernd an. „Du bist genauso klug wie Dario. Mein Vater redet nie mit mir über Politik. Wenn ich Dario nicht hätte ..."

    Stefania lachte. „Dein Bruder ist ein Feuerkopf. Schade, dass er keinen Adelstitel hat."

    „Du meinst ... Mirella starrte die Freundin an. Stefanias strahlende Augen ließen keinen Zweifel. „Seit wann ... Sie schnappte nach Luft.

    Stefania drückte ihr die Hand. „Wir warten nur darauf, dass du heiratest. Dann ist er immerhin der Schwager eines Granden."

    Mirella wurde es heiß. Dass das Glück ihrer Freundin von der Hochzeit mit Don Felipe de Toledo d’Altamira y Léon abhängen könnte, darauf wäre sie nie gekommen. Sie starrte zu Boden; hoffentlich ging alles gut. „Wie schön wäre es, wenn wir ohne Standesdünkel leben könnten." Dann würden alle Männer mit ihr tanzen, dessen war sie sicher.

    Stefania nickte. „So wie wir beide. – Aber wer ist schon wie wir gemeinsam in die Schule gegangen. Sie zog Mirella vor den nächsten Spiegel. „Wir ähneln uns sogar: die gleichen dunklen Locken, die gleichen grünen Augen. Sie drückte ihre Nasenspitze nach oben. „Und die gleiche himmelwärts strebende Nase."

    Sie lachten sich im Spiegel zu.

    Eine der Spanierinnen öffnete das nächstgelegene Fenster und beugte sich hinaus. Dann drehte sie sich um und fuchtelte mit den Händen. „Fuego ..." Die folgenden Worte kamen zu hastig, um verständlich zu sein. Mehrere Frauen eilten auf sie zu und begannen sich zu ereifern.

    Mirella fing einen feindlichen Seitenblick auf, der ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Sie wechselte ins Neapolitanische. „Die Spanierinnen scheinen ihren Truppen wenig Vertrauen zu schenken. Sie fürchten sich."

    Erstaunlicherweise fand Stefania das nicht amüsant. „Sie haben nicht genug Soldaten. Falls Vater recht hat ..."

    Dario trat zu ihnen; Stefania reichte ihm die Hand. „Wo hat Er den ganzen Abend gesteckt?"

    „Ich habe mit meiner schönen Schwester getanzt. Aber nicht den ganzen Abend – warum mochte er Stefania nichts von dem Fremden sagen? Mirella beobachtete ihn mit wachsamen Augen. Dario lächelte sparsam. „Gibt Sie mir die Ehre?

    Wie gut er sich verstellte. Nicht einmal sie hatte etwas geahnt. Ob Stefania sich von Dario küssen ließ, wenn sie unbeobachtet waren? Sie würde Stefania fragen und ihr keine Ausflüchte zugestehen. Unvermittelt kicherte sie: Erfahrung – hier bekäme sie sie zumindest aus zweiter Hand.

    „Wenn Er meine Tritte ertragen mag. Er weiß, dass ich nicht halb so begabt bin wie Mirella." Stefania zwinkerte ihr zu; dann reichte sie Dario den Arm.

    Er neigte demütig den Kopf. „Ich werde tapfer sein." Seine Augen glänzten begehrlich.

    So verriet er sich doch. Mirella lachte ihnen triumphierend hinterher.

    Sonntag, 11. August 1647

    Aus der Küche schlug Mirella penetrant der Geruch von Kohl entgegen. Angewidert rümpfte sie die Nase, als sie das Haus betrat. Gab es selbst am Sonntag nichts Anderes mehr?

    Gina stand am Tisch in der Mitte der Küche und schöpfte aus einem hohen Topf Weißkraut zum Abtropfen in ein Sieb. Sie arbeitete konzentriert, als bereite sie ein aufwändiges Gericht vor.

    Mit einem klagenden Mauzen schlich der alte Kater an Mirella vorbei und schlüpfte in den Hof, bevor sie die Tür wieder schloss. Anscheinend hatte er die Hoffnung auf ein Hühnerbein aufgegeben und würde sich jetzt einen lebenden Vogel suchen. Vielleicht hatte er mit dem Essen mehr Glück als sie.

    Im Flur kam ihr Dario entgegen; er flehmte nach dem Kohlgeruch und öffnete dann achselzuckend die Tür zum Esszimmer. „Fährst du zur Andacht heute Nachmittag?"

    „Das tue ich doch jeden Sonntag."

    „Gut. Er legte den Kopf schräg. „Ich setze dich an der Kirche ab.

    „Wo willst du hin?"

    Mit einem wachsamen Blick zu den Eltern legte Dario einen Finger auf den Mund. Als ob das weniger verfänglich wäre als ihr zu antworten.

    Mirella schmunzelte; er musste doch nicht alleine zu Stefania fahren. Sie konnte den beiden die Anstandsdame ersetzen.

    Enzo stand neben Rita und öffnete gerade eine Flasche Tarausi.

    Dario blieb überrascht stehen. „Gibt es etwas zu feiern, Vater?"

    „Dass Sonntag ist. Seine ernste Miene sprach aber nicht davon, dass er etwas feiern wollte. „Hoffen wir, dass Filomarinos Predigt die Gemüter beruhigt hat. Er schenkte ein Glas halb voll und hielt es hoch. Als er es langsam schwenkte, zauberte das Licht granatrote Reflexe in den Wein.

    Mirella verfolgte irritiert seine übertriebene Hingabe. „Ich begreife es nicht. Was wollen die Leute denn noch?"

    „Narrenfreiheit. Enzo verkostete den Wein und schnalzte genießerisch mit der Zunge. „Die Briganten nutzen die Unruhen für ihre Zwecke.

    „Und welche sind das? Sollte sie bei Wasser bleiben? Kurz entschlossen hielt auch Mirella ihm ihr Glas hin. „Darf ich? Einen Schluck, um am Ende den Geschmack des Kohls zu vertreiben.

    „Gina hat sich Mühe gegeben: Sie hat Fisch kaufen können." Rita presste die Lippen zusammen.

    Dario band sich seine Serviette um den Hals. „Seit Masaniellos Tod gibt es niemanden mehr, der die Leute führen kann. Genoino ist unglaubwürdig geworden."

    „Er hat unklug gehandelt; aber er hat wirklich nicht an sich gedacht."

    „Doch, widersprach Dario heftig. „Dies alles ist die Rache eines alten Mannes, der seine Stunde gekommen sah. Bevor er ins Grab sinkt, musste er sich noch schnell einen Namen machen.

    „Den hat er nun, unbestreitbar. Man wird ihm ein Denkmal auf den Trümmern der Reggia errichten."

    „Nun ist es genug. Rita streckte die Hand nach Enzo aus. „Keine Politik bei Tisch. Mir reicht, dass uns das Essen beständig an die Zustände in der Stadt erinnert.

    Gina kam ins Esszimmer, die große silberne Platte aus Ritas Familienerbe balancierend. Kohlgeruch breitete sich aus. Sie setzte die Platte auf der Mitte des Tisches ab. Zwischen üppigen Mengen von Wirsing und Weißkohl lagen vier kleine Makrelen auf hauchdünnen Scheiben Brot.

    „Sehr schön! Enzo nickte Gina beifällig zu. „Deine Mühe hat sich gelohnt.

    Gina knickste mit leuchtenden Augen und legte ihm eine der Makrelen auf den Teller. Dann servierte sie Rita einen Fisch und häufelte beiden Wirsing und Kohl daneben. Mirella hielt die Hand über ihren Teller, als Gina um den Tisch herumging. „Nur ein wenig Weißkohl bitte."

    „Kein Fisch?" Dario klang belustigt.

    „Eigentlich nur Fisch. Doch ich fürchte, davon werde ich nicht satt."

    „Iss, Mirella, befahl Rita. „Sei froh, dass es noch so viel gibt.

    „Wir haben den ganzen Keller voller Kohl! Der intensive Geruch verursachte ihr Übelkeit. „Was den betrifft, brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Der reicht bis zum Winter.

    „Bis zum Winter. Eben. Weißt du, was dann kommt?"

    Rita griff schon wieder nach Enzos Hand. „Aber was sagst du da? Sie sah ihn sichtlich erschrocken an. „Fürchtest du, dass sie die Felder anzünden?

    „Wer kann schon wissen, was draußen auf dem Land passiert." Dario drehte die Gabel durch den Wirsing, den Gina ihm inzwischen auf den Teller getan hatte.

    Enzo zog die Augenbrauen hoch. „Wenn du es nicht weißt ..."

    „Niemand kann sagen, wie lange es so weitergeht, beharrte Dario. „Es gibt keinen mehr, der den Pleb beherrscht.

    „Dieser Waffenschmied, der dafür gesorgt hat, dass die Männer ihre Waffen behalten haben, obwohl Don Rodrigo nun die alten Privilegien akzeptiert hat ..."

    Dario schnaubte. „Annese ist gefährlich. Er hetzt gegen die Spanier."

    „Der König treibt Neapel in den Ruin! Enzo hieb mit der Faust auf den Tisch. „Eine Million Dukaten!

    „Es kostet nun einmal, eine Armee zu unterhalten und uns zu beschützen."

    „Uns! Neapel hat keine Feinde."

    Dario neigte den Kopf zur Seite. „Ich kann Ihm eine ganze Handvoll nennen: Venedig, die französischen Truppen in der Toskana ..."

    „Schluss mit der Politik bei Tisch! Rita sprach sehr viel leiser als zuvor. Jetzt war sie ernsthaft erbost. „Geh in die Bibliothek. Dort kannst du den Rest des Tages mit deinem Vater räsonieren, sobald wir mit dem Essen fertig sind.

    Dario verstummte und presste die Lippen zusammen; seine Gabel fuhr weiter durch den Wirsing.

    Enzo langte über den Tisch und nahm sie ihm weg. „Gehorche!"

    Dario sah Enzo schockiert an; dann blickte er zu Rita. „Hat Sie das im Ernst gemeint?", flüsterte er.

    „Sehe ich aus, als ob ich spaße?" Nein, so sah sie wirklich nicht aus.

    Dario sah noch einmal von einem zum anderen; dann stand er auf und nahm sein Glas mit.

    „Heißt das, er hat jetzt Ausgehverbot?" Mirella war ebenso schockiert wie Dario. Dass Rita selbst jetzt so eisern auf ihrer Tischregel bestand: Fand sie es denn nicht wichtig zu begreifen, was mit Neapel geschah?

    „Das ist nicht deine Sache, Kind. Rita klang wieder warm und herzlich. „Wolltest du denn noch einmal fort?

    Sie nickte.

    „Fabrizio wird dich begleiten."

    Als Mirella die Bibliothek betrat, saß Dario auf der gepolsterten Fensterbank und drehte sein Glas zwischen den Fingern. Es war noch genauso voll wie zuvor.

    „Ich werde Stefania sagen, warum du nicht kommst."

    Er sah auf; sein Blick war eine einzige Frage. „Wie kommst du auf Stefania?"

    Mirella lächelte verschmitzt und setzte sich neben ihn. „Tu nicht so! Sie hat mir von euch erzählt."

    Ein Licht stieg in Darios Augen und für einen Augenblick sah er jung und verletzlich aus. Dann schüttelte er den Kopf. „Stefania würde in ein Kloster verbannt, wenn die Marchesa etwas erführe. Er gab ihr einen zärtlichen Stups auf die Nase. „Schlaues Mädchen; aber du denkst in die falsche Richtung. Wir treffen uns nicht heimlich.

    „Aber wohin wolltest du dann?"

    Er schüttelte schon wieder den Kopf; das wurde entschieden eine neue Angewohnheit von ihm. „Das kann ich dir nicht sagen."

    Sie rückte von ihm ab. „Du hattest noch nie Geheimnisse vor mir. Und jetzt gleich zwei."

    Dario lachte lauthals.

    „Was ist so komisch daran?"

    „Schwesterchen, ich glaube, du bist eifersüchtig."

    „Gar nicht. – Wer wartet heute Nachmittag vergeblich auf dich? Ich kann doch wenigstens Bescheid sagen."

    Dario lächelte über ihren Eifer. „Es wäre gewiss höflicher, wenn ich mich entschuldigen ließe. Er senkte den Kopf. Gab es da noch etwas zu überlegen? „Nein, dich kann ich nicht schicken. Nicht dorthin. So gern ich es auch täte.

    „Du vertraust mir nicht!"

    Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf die Stirn. „Ich sollte meiner eigenen Schwester nicht vertrauen? Wem sonst, wenn nicht dir!"

    Enzo trat ein, die Weinflasche in der Hand. „Du bist auch hier? Er ging zum Schreibpult und nahm seine Pfeife heraus. Während er sie stopfte, musterte er beide. „Habe ich euch unterbrochen?

    Mirella zögerte; sie wartete auf Darios Entgegnung. Aber der drehte bloß sein Glas zwischen den Fingern. „Ich möchte nach der Andacht zu Stefania und auch die alte Giuseppina besuchen. Auch wenn Dario ihr nicht sagen mochte, was er vorhatte; vielleicht konnte sie ihn aus dem Hausarrest befreien. „Es schickt sich nicht, dass nur Fabrizio mich begleitet. Was sollen die Leute denken! Es sähe aus, als ginge ich mit einem Kutscher spazieren. Oder soll ich das letzte Wegstück ohne Begleitung zurücklegen?

    „Sei nicht kindisch. Enzos Stimme war ungewohnt scharf. „Wenn es dir nicht passt, dann bleib zu Hause. Er ging zum Bücherschrank und nahm mehrere in Leder gebundene Folianten heraus. Schließlich reichte er Dario einen davon. „Lies das. Vielleicht wirst du dann ein bisschen klüger."

    Mirella schielte auf den Buchrücken. „Dante?"

    „Ich habe ihn mehr als einmal gelesen. Er sagt mir nichts."

    „Dann lies ihn noch einmal. Und denk nach dabei."

    Dario verzog das Gesicht, schlug aber folgsam das Buch an der von Enzo angegebenen Stelle auf.

    „Lies uns vor."

    Dario trank einen Schluck, stellte das Glas ab und gehorchte mit einem Seufzer.

    „O töricht Sorgen Sterblicher, wie sind nur

    So mangelhaft die Syllogismen alle,

    Die deinen Flügelschlag nach unten richten! ..."

    Nach einer halben Stunde stand Enzo auf. „Genug für heute."

    Nachdem er die Bibliothek verlassen hatte, sahen sich Dario und Mirella verblüfft an.

    „Was sollte das?"

    „Eine Lektion. Dario stieß den Atem aus. „Ich habe wirklich gedacht, anschließend lässt er mich gehen. Er trank sein Glas leer, stand auf und nahm die Flasche, die Enzo stehen gelassen hatte. „Auf bessere Zeiten! Möchtest du auch einen Schluck?"

    „Du bist komisch heute! Was ist nun?"

    „Geh zu deiner Andacht. Und zu Giuseppina! Bevor er die Bibliothek verließ, drehte er sich noch einmal um zu ihr. „Sag Fabrizio, er soll zu mir kommen, bevor ihr fahrt.

    Enzo ging am Fenster vorbei in den Rosengarten, eine Schere in der Hand. Dort schnitt er welke Blüten aus; zuweilen bog er ein paar Zweige auseinander und betrachtete die Blätter. Wahrscheinlich hatten die Rosen wieder Läuse. Um seine Blumen machte er sich mehr Gedanken als um seine Kinder. Obwohl ...

    Mirella nahm den Folianten und las noch einmal, was Dario vorgelesen hatte. Er schien verstanden zu haben, was Enzo ihm damit sagen wollte. Warum war sie zu dumm dafür?

    Als der Kies vor dem Fenster knirschte, sah Mirella auf. Enzo kam zurück. Was würde er dazu sagen, dass sie nun doch mit Fabrizio fort wollte?

    Sie öffnete das Fenster, das Buch in der Hand. „Vater, warum sollte Dario den Dante lesen?"

    Er reichte ihr den Korb mit den Rosen. „Damit er sich nicht in unnützen Dingen verliert."

    „Aber ..."

    „Lass die Rosen in die Vasen verteilen."

    Mirella steckte ihre Nase in den Korb. „Wie sie duften! Darf ich Giuseppina welche mitbringen?"

    „So hast du es dir anders überlegt?"

    „Jeder weiß doch ... Dann gewann die Lust, ihn zu provozieren. „Es ist Sein Name, dem ich schade, wenn ich mit unserem Kutscher durch die Wälder des Vesuvs spaziere.

    „Bring ihr Blumen, so viele du magst. Er grinste sie an. „Du brauchst sie nicht einmal selbst zu tragen. Ein Spottlied pfeifend, ging Enzo weiter. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass er es kannte.

    Fabrizio stand neben den Pferden und steckte eben ein versiegeltes Papier in seine Jackentasche, als Mirella später den Hof betrat.

    „Wie lange wird Sie in der Kirche bleiben, Signorina?"

    „Das weiß ich noch nicht. Mirella ärgerte sich noch immer über Darios Geheimnistuerei. „Du wirst es wissen, wenn ich wieder herauskomme.

    Ein Schatten fiel über Fabrizios Gesicht und seine Lippen bewegten sich einen Moment, als wolle er etwas erwidern. Stattdessen zog er die Knebel an seiner Weste durch ihre Schlaufen und schob die aufgerollten Hemdsärmel herunter. Dann half er Mirella in die Kutsche.

    Als sie dann vor der Basilica del Carmine hielten, schalt Mirella sich als ungehörig: Da ging sie in die Kirche und war gleichzeitig garstig zu einem Dienstboten.

    Die Piazza del Mercato lag verlassen in der gleißenden Sonne. Und eben das war bedenklich. Zu einem richtigen Sonntag gehörten die Komödianten auf dem Platz und anderer Zeitvertreib.

    „Warum wolltest du wissen, wie lange ich zur Andacht bleibe? Hast du etwas zu besorgen?"

    Fabrizios Hand glitt zu seiner Jackentasche. „Gina ..." Er stockte, als sei ihm eingefallen, dass sie es herausfände, wenn er ihr etwas über Ginas Aufträge vorlöge.

    Sie sah ihn auffordernd an; mit einem Lächeln, das ihn hoffentlich ermutigte zu sprechen.

    „Ihr Bruder hat mich gebeten, einen Brief zu überbringen."

    „Du kannst einen Umweg machen auf dem Heimweg, wenn es dafür nötig sein sollte." Sie wandte sich ab und betrat die Kirche.

    Mirella liebte die

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